Mein Corona-Tagebuch Donnerstag, 2. April Tag 31

Die Nerven liegen bei einigen blank?

Einer unserer Patienten aus dem Altenheim ist in der Klinik gelandet, Corona-positiv. Das Gesundheitsamt veranlasst jetzt die Untersuchung von allen Kontaktpersonen. Wir in der Praxis checken, welche Patienten überhaupt eine Patientenverfügung haben. Es sind nicht viele. Ich bitte die Pflegedienstleitung darum, nachzusehen, ob im Haus etwas vorliegt. In dieser Situation Gespräche zur Patientenverfügung zu führen, ist etwas schwierig.

Im nächsten persönlichen Patientengespräch in der Praxis thematisiere ich das Problem: Morphium und Schlaftabletten ist der Wunsch. Aber die Patientenverfügung liegt im Tresor bei der Bank. Was kann ich damit anfangen? Wenn ich das weiterdenke, stellen sich mir viele Fragen. Wer versorgt die Schwerkranken, wenn sie nicht ins Krankenhaus wollen oder sollen. Von ärztlicher Seite ist das für mich keine Frage. Aber ich allein reiche da nicht aus. Da gibt es noch viele ungeklärte Fragen.

Am Vormittag bin ich dann etwas irritiert über ein FAX der KV, in dem der stellvertretende Vorsitzende Dr. Joachim Meiser in überraschend scharfer Form den Versorgungsauftrag der Ärzte anmahnt. Scheinbar gab es ein Ablehnen von Hausbesuchen im Altenheim von Seiten der behandelnden Ärzte wegen fehlender Schutzausrüstung und Angst vor Ansteckung. Die Verantwortung wurde wohl auf den Rettungsdienst abgedrückt. Das ist verständlicherweise nicht akzeptabel.

Der Verweis in diesem Zusammenhang darauf, dass man einfach Schutzausrüstung bestellen kann, ist auch ein wenig irritierend. Alle warten sehnlichst auf Nachschub an Schutzausrüstung. Die KV packt seit Montag knapp 900 Pakete „von Hand zu Fuß“ und gibt sich Mühe, dass jeder etwas von den knappen Ressourcen bekommt. Als erstes werden die Nephrologen und Dialysepraxen versorgt, was völlig ok ist. Desinfektion, Masken und Handschuhe gibt es genug. Nur Schutzkittel sind Mangelware, so dass es schon Empfehlungen gibt, wie wir diese Einmalartikel wiederverwenden können. Bis heute Abend ist jedenfalls keine Schutzkleidung angekommen.

Am Nachmittag haben wir Probleme mit der Abrechnung und rufen bei der KV an. Es läuft der Anrufbeantworter mit folgendem Text: „Wir sind heute schon genug beschimpft worden. Auf Anweisung von Dr. Hauptmann schließen wir das Servicecenter für heute…“. Das ist ja echt traurig. Wer hat da die Mitarbeiter beschimpft? Etwa Kollegen oder Praxismitarbeiter?

Alle stehen unter Stress und die absolut überwiegende Mehrheit tut einfach ihr Bestes. Wer ist denn für die fehlende Ausrüstung verantwortlich? Ich glaube, niemand hat das so in dieser Form voraussehen können. Und wer hätte gedacht, dass Mundschutz teurer gehandelt wird als Drogen? Und jetzt sich gegenseitig zerfleischen ist auch nicht besonders intelligent.

Ich bedanke mich auf jeden Fall bei allen, die in dieser Zeit weiterhin ihr Bestes tun und sich nicht von den ständigen Panik- und Miesmachern, Besserwissern und Schuldigensuchenden runterziehen lassen. In dieser Zeit ist Fürsorge, Respekt und Menschlichkeit gefragt. Und auch ein Lächeln ist wohltuend!

Veröffentlicht von Dr. Claudia Thiel

Ich bin Ärztin für Innere Medizin und Ernährungsmedizinerin. Meine Mission ist es, Menschen zu helfen, durch eine geeignete Ernährung gesund zu bleiben oder Krankheit zu heilen.

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