
Die soziale Isolation bringt für viele Menschen erhebliche psychische Probleme. Einige Tage ist das auszuhalten, aber auf unbestimmte Zeit ist die Einsamkeit für viele nicht zu ertragen. Besuchsverbot bei den Großeltern ist beispielsweise ein erhebliches Problem. Hier müssen wir die Risiken einfach abwägen. Denn man kann auch vor Kummer sterben.
Meine Mutter ist 87 Jahre alt und bis auf einen hohen Blutdruck ziemlich gesund. Sie lebt in Wiesbaden im Haus meines Bruders in einer eigenen Wohnung. Aktuell wird für sie eingekauft und der Kontakt findet auf Distanz nur im gemeinsamen Garten statt. Meine Mutter versteht und akzeptiert das und es funktioniert auch mit ihren Enkelkindern ganz gut. Ich selbst kann meine Mutter nicht besuchen, solange ich noch nicht Corona durchgemacht habe. Also telefonieren wir regelmäßig. Das kann sie aushalten, obwohl die Telefonate teilweise auch einen traurigen Unterton haben.
Aber das mit der Distanzierung hat sich noch nicht bei allen rumgesprochen. Meine Mutter erhält regelmäßig Tiefkühlware geliefert. Sie kennt ihren Verkaufsfahrer schon seit Jahren und sie haben ein sehr nettes Verhältnis. Diese Woche war es wieder soweit. Ganz entrüstet erzählt sie mir, dass ihr Verkaufsfahrer direkt beim Öffnen der Haustür ihr einen Schritt entgegen kommt und die Hand zur Begrüßung hinstreckt. Meine Mutter musste ihn erst einmal darauf hinweisen, dass das aktuell nicht angebracht wäre. Er wäre jung und sie sei alt, er hätte kaum Risiko aber sie hätte ein hohes Risiko. Ich hoffe, der junge Mann hat es verstanden.
Immer noch ist keine FFP2 oder FFP3 Maske vorhanden. Trotzdem mache ich einen Hausbesuch im Altenheim auf der Pflegestation mit Kittel (ich trage sonst nie Kittel), Handschuhen und OP-Mundschutz zum Impfen gegen Lungenentzündung (Prevenar) bei einem neuen Patienten. Dort ist vom Gesundheitsamt Quarantäne angeordnet. Ich trage mich in eine Liste ein mit Datum, meinem Namen und Patientennamen. Gemeinsam mit dem Pfleger gehe ich auf die Pflegestation.
Bei den vielen Demenzkranken ist es absolut nicht möglich, jeden in sein Zimmer einzusperren und zu isolieren. Das verstehen diese Menschen nicht. Sie leiden sowieso schon ganz erheblich unter dem Besuchsverbot der Angehörigen und bei einer Isolation im Zimmer würden sie vollständig durchdrehen.
Das Pflegepersonal wirkt müde. Sorge und Anstrengung kann man in den Gesichtern ablesen. In der Pflege ist die Nähe zu den Bewohnern unumgänglich. Wie soll Waschen, Anziehen, Toilettengang und Füttern mit Distanz funktionieren? Auch Mundschutz ist da schon störend, weil die Mimik fehlt. Denken Sie einmal darüber nach, wie Sie sich fühlen, wenn jemand mit Mundschutz Ihnen gegenübersteht. Sie sind garantiert verunsichert, weil ein erheblicher Teil der Kommunikation fehlt. Das macht mitunter sogar Angst.
In Saarbrücken sind mittlerweile einige Bewohner der Alten- und Pflegeheime infiziert. Eine weitere Ansteckung ist da extrem schwer zu vermeiden. Auch haben wir hier ein an sich schon sehr gefährdetes Patientenkollektiv. Auch wir werden sehr harte Zeiten durchmachen und unsere Aufgabe ist es, Leben, Krankheit und Sterben in Würde zu ermöglichen. Wir werden sehen, ob unsere Gesellschaft das kann.
Heute Abend 18.00 Uhr: 1318 bestätigte Fälle im Saarland, Verstorbene 20, Geheilte 139 (das sind sicherlich mehr!)